Drei Gründe, wieso sich E-Food durchsetzen wird (2024)

Lebensmittel

Ist E-Food mehr Schein als Sein oder doch ein langfristig profitables Geschäftsmodell? Jüngst bescheinigte Professor Otto A. Strecker den Lebensmittellieferdiensten im absatzwirtschaft-Interview kein langes Leben. In seinem Gastbeitrag hält der E-Food-Experte Matthias Schu dagegen.

Drei Gründe, wieso sich E-Food durchsetzen wird (1)

Von Matthias Schu

Im Interview mit der absatzwirtschaft schilderte Otto A. Strecker, Professor für Lebensmittelmarketing an der Universität Bonn, Anfang August seine Sicht auf den deutschen E-Food-Markt und die Chancen von Gorillas, Flink & Co. Auf Social Media hat dies zu kontroversen Diskussionen zwischen Experten, Investoren und Branchen-Insidern geführt. Der Tenor ging dabei stark in eine Richtung: Die Aussagen wurden als zu pessimistisch und zu sehr „aus dem Bauch heraus“ wahrgenommen und eine fehlende Fundierung bemängelt. Grund genug für eine Replik.

Lesen Sie hier: Lebensmittellieferdienste erleben einen Boom durch Corona, Start-ups schießen aus dem Boden, Investoren pumpen große Summen in den Markt. Professor Otto Strecker räumt den Anbietern keine Chancen auf den großen Durchbruch ein und erklärt im Interview, wieso das Geld trotzdem fließt.

Im Interview liefert Professor Strecker einen weit angelegten Ritt durch verschiedenste Thematiken und Segmente des E-Foods. Meine wichtigsten Kritikpunkte daran möchte ich im Folgenden mit drei Gegenthesen aufgreifen:

1. Keine Angst vor disruptiven Veränderungen!

Der deutsche Handel und seine Lenker scheuen sich stark vor Neuem und den sich ergebenen disruptiven Veränderungen. Ein Beispiel hierfür: Das Interview mit Raoul Rossmann vom 1. August 2021 im Handelsblatt und seine Forderung der Quersubventionierung deutscher Innenstädte durch den Onlinehandel. Vor allem große Handelsketten sind träge geworden und versuchen, sich so lange wie nur möglich dem Verbraucherwunsch und der disruptiven Veränderung zu widersetzen. Sie propagieren alles Neue gerne einmal als schlecht, zu teuer, ineffizient und zum Scheitern verurteilt. So auch bei E-Food.

Dabei haben gerade Corona und die entsprechenden Wachstumsraten im Jahr 2020 nochmals gezeigt, dass E-Food ein Verbraucherwunsch ist. Der E-Food-Markt in Deutschland würde viel stärker wachsen, gäbe es die entsprechenden Kapazitäten, um die vorhandene Nachfrage abzudecken. Diese Nische erschließen sich mittlerweile Start-ups, die Konsumenten mit entsprechenden Wertversprechen und neuen Ideen für sich gewinnen.

Professor Streckers Vergleich mit den gescheiterten Konzepten von vor 20 Jahren, die ihrer Zeit voraus waren, hinkt. Denn die technische Entwicklung und die Erwartungshaltung ist heute eine grundlegend andere als zu Zeiten der ersten scheiternden E-Food-Anbieter beim Platzen der Dotcom-Blase.

2. Die kritische Masse an Kunden ist längst da – beliefert Sie!

Auch der Aussage der fehlenden kritischen Masse soll einmal genauer nachgegangen werden. Insbesondere ist es wichtig, nicht E-Food als großes Ganzes – Wocheneinkauf, Quick Commerce, Restaurant Delivery – zu vermischen, sondern einer dedizierten Betrachtung anhand gegebener Faktoren zu unterziehen. Und auch die entsprechende Kaufsituation (geplant vs. Impuls) im Hinterkopf zu behalten, in der sich der Konsument befindet.

Zur Abschätzung des Marktes für Quick Commerce bietet sich ein TAM-SAM-SOM-Ansatz an: Mit einer eher pessimistischen Schätzung für die Entwicklung des Q-Commerce-Marktes bis 2030 bezüglich des durchschnittlichen Warenkorbs und der Anzahl der Bestellungen pro Woche ergibt sich für einen Anbieter in einer einzigen deutschen Stadt mit mehr als 200.000 Einwohnern unter Annahme von Wettbewerb ein zu erreichendes Potential von 28 Millionen Euro pro Jahr. Manch stationärer Händler wäre froh, würde er diese Zahl mit seinen Filialen in einer Stadt erreichen.

Dies dürfte nach erfolgter Marktkonsolidierung, wie im Restaurant-Delivery-Markt, dazu führen, dass Einkaufsvorteile sehr wohl realisierbar sind. Auch eine zusätzliche Monetarisierung der Anzeigenplätze in der App als Einnahmegenerator – ähnlich dem heutigen Werbekostenzuschuss im stationären Handel und dem Print-Werbeheft – erzielt dann einen Hebel für den Ebit.

3. Die letzte Meile – Challenge, aber machbar

Die letzte Meile, vor allem die Sicherstellung der Kühlkette, sieht Professor Strecker im Interview als das zentrale ungelöste Problem im E-Food-Markt. Wäre dies so, könnte kein Anbieter auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen Kunden beliefern, ohne von den Behörden dicht gemacht worden zu sein. In der Praxis existiert eine Vielzahl von innovativen, kostengünstig skalierbaren Lösungen für dieses „Problem“.

Der Lieferbote, der im dritten Stock den Kunden nicht antrifft und die Bestellung wieder mitnehmen muss, oder dass Picnic hoffen muss, dass „alle Kunden, die etwas bestellt haben, auch wirklich ihre Tüten abholen“, spiegelt nicht die Normalität der Zustellung wider – es handelt sich um Einzelfälle. Zumal Kunden bei den meisten Anbietern im Voraus mit Kreditkarte zahlen und innerhalb des gebuchten Lieferslots dann anzutreffen sind.

Die Kosten der letzten Meile sind zweifellos herausfordernd; die Liefergebühren decken in der Regel nicht die Kosten fürs Fulfillment, das querfinanziert wird. Jedoch lassen sich, etwa durch automatisiertes Picking in (Micro) Fulfillment Centern, erhebliche Kosteneinsparungen realisieren, die die Deckungsbeitragssituation entspannen.

Auch Routenoptimierung auf der letzten Meile und eine höhere Stopp-Dichte wirken als starker Hebel auf den Deckungsbeitrag. Letztendlich wird sich bei Quick Commerce und der kommenden Konsolidierung des Marktes eine Verschiebung des Leistungsversprechens hin zu Lieferzeiten von 30 bis 45 Minuten einstellen, um so die Nachteile der heutigen Einzelfahrten zu umgehen und eine Bündelung zu erzielen.

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